Nach wie vor erlebe ich die eigene Yoga-Praxis als enorme Bereicherung in meinem Leben. Ich möchte ein bisschen davon teilen, denn das Yoga-Üben, das man alleine auf Matte und Sitzkissen erlebt, ist anders als die Erfahrung im Unterricht. Beides hat seine Qualitäten, ohne Frage, ich glaube aber, dass man ohne eine eigene Übungspraxis nicht in der Tiefe der Erfahrung kommen kann. Daher ruf ich bei Gelegenheit dazu auf, sich regelmäßig mit sich selbst auf der Matte zu verabreden – es kostet anfangs Überwindung, aber es ist langfristig jedenfalls lohnend.
Für mich ist mein tägliches und teils mehrmals tägliches Üben ein Ankommen: in meinem Körper, in meinem Atem, in meinem Sein. Das Üben bringt mich in die Präsenz des Augenblicks, und zwar insbesondere, wenn ich mit meinem Atem gut verbunden bin. Das Üben erinnert mich aber auch an die Themen, mit denen ich meine Praxis begonnen habe, und manchmal ist das vielleicht nicht angenehm, weil es sich hier um Blockaden oder Einschränkungen handeln kann. Gleichzeitig manifestiert sich im Üben das Ergebnis der bisherigen Anstrengungen, meinem Übungsziel näher zu kommen. In aller Regel ist das daraus entstehende Gefühl positiv – es erfüllt mich mit Dankbarkeit mir selbst gegenüber, wenn ich aufgrund regelmäßiger Übung Fortschritte erreicht habe, und mit Hoffnung, dass ich mein Ziel früher oder später erreichen werde, wenn ich am Thema dran bleibe. Auch Selbstakzeptanz ist eine der Früchte der Praxis: Sie entsteht daraus, dass ich erkenne, wo meine Grenzen sind, was ich kann, was ich vielleicht nie können werde. Die Akzeptanz wird erleichtert dadurch, dass ich den Moment geniesse, auch wenn ich es nicht bis zu meinem Ziel geschafft habe, dabei aber keine Enttäuschung aufkommen lasse.
Ich denke, es ist das Dranbleiben an einer Übungspraxis über längere Zeit, das dem eigenen Üben eine größere Tiefe verleiht. Solange die Stellungen noch unvertraut sind, kreisen die Gedanken vielleicht um das „richtige“ oder „falsche“ Üben. Erst nach einiger Zeit können die Haltungen mit dem Atem fließen und bekommen eine gewisse Leichtigkeit. Und wenn man den Kontakt mit einer gleichbleibenden Praxis länger beibehält, wird man sich der Rolle des Übens für die Erreichung seiner Übungsziele bewusst, lernt über sich selbst und über seine Anhaftungen und Einstellungen zum Üben an sich. Damit schafft man die Voraussetzungen, die eine Übertragung des Geschehens auf der Matte in den Alltag ermöglichen.
In den Zeiten von Lockdowns und Ausgangsbeschränkungen hatte Yoga für mich einen mehrfachen Anreiz. Einerseits hatte ich mit meiner Übungsmatte das Studio zu Hause, in das andere nicht gehen durften. Ich konnte mehr Zeit zum Üben verwenden, weil so vieles andere ja nicht erlaubt war und ich konnte mit dem Yoga meinen Tag in einer sinnvollen Weise strukturieren, während viele Menschen gerade darunter litten, dass ihre Tagesstruktur nicht mehr da war. Und ich hab mit jeder einzelnen dieser kürzeren oder längeren Praxen meiner Seele Gutes getan. Denn die Asana-Praxis hat das Potential, neben der wohltuenden Wirkung auf den Körper auch die Psyche zu stabilisieren – besonders wertvoll in einer Zeit, in der die Gesellschaft von Angst, Stress und Spaltung heimgesucht wurde.
Ich übe zur Zeit drei verschiedene Asana-Praktiken, die unterschiedlichen Zielen dienen – vereinfacht gesagt, ist eine eher kräftigend, die zweite eher lockernd, und die dritte dient der Öffnung bestimmter Körperbereiche. Aber im Hinblick auf die Erfahrungen, die ich oben erwähnt habe, unterscheiden sie sich nicht wesentlich. In allen Praktiken gibt es Abschnitte, wo ich an meiner persönlichen Grenze arbeite und mich dabei beobachte, und versuche, über Atem und Bewegung in einen tiefen Kontakt mit meinem Selbst zu kommen. In anderen Abschnitten geht es nur ums Loslassen und Wohlfühlen, wo ich einfach nur den Atem oder die Empfindung im Körper beobachte und nach Möglichkeit genieße.
Warum wirken sich Asanas positiv auf die Psyche aus? Warum führen sie nicht eher zur Haltung von Enttäuschung oder Niederlage, wenn man sich bewusst wird, dass man Haltungen nicht kann oder andere beweglicher sind? Einerseits ist es die Abwesenheit von Leistungsdenken, die dem Yoga-Übenden von der ersten Stunde an gepredigt wurden und ihm irgendwann in Fleisch und Blut übergehen – es geht, nicht darum, sich zu messen mit anderen, sondern in sich hineinzuspüren, und sich so anzunehmen, wie man ist. Was mir aber noch wichtiger erscheint, ist dass die Haltungen selbst positive Gefühle hervorrufen. Eine gute Aufrichtung des Körpers in Verbindung mit einem ruhigen Atem verursacht einfach ein Wohlgefühl, und es ist fast nicht möglich, in Niedergeschlagenheit zu verfallen, wenn man im Lauf einer Stunde immer wieder diese Wonne erleben darf.
Für regelmäßig Übende kommt zu diesem selbstregulierenden Effekt des Yoga hinzu, dass sie sich ihres Fortschritts bewusst werden. Und dieser wird sich in der einen oder anderen Form einstellen, wenn man regelmäßig über längere Zeit die gleiche Praxis übt. Selbst mit einer sehr kurzen, zB 15-20 min Praxis kann man Veränderungen erreichen, sofern man diese konsequent in seinen Alltag einbaut. Und diese Fortschritte, seien es mehr Beweglichkeit, Kraft, bessere Koordination oder ein Gefühl von mehr Leichtigkeit und Entspannung, sind die beste Motivation, eine Praxis weiter zu führen.
Der erste Schritt, wenn jemand den Entschluß zum (regelmäßigen) Üben fassen mag, ist immer tapas – das innere Feuer, das dir hilft, die Trägheit zu überwinden. Wenn Du Begleitung beim Aufbau einer persönlichen Praxis möchtest, stehe ich in Einzelstunden gern zur Verfügung. Mehr über Einzelstunden gibts hier zu lesen.